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Alle Macht für niemand

Autor Andreas Zeuch
Verlag Murmann
ISBN 978-3-867-74475-1

Unternehmensberater Andreas Zeuch wirbt mit Elan für eine demokratische Unternehmensführung, idealiter basisdemokratisch. Sein Augenmerk gilt vorzugsweise den Phänomenen einer „demokratischen Verfassung“ mit „demokratischer Entscheidungsfindung“ (Fokus auf „Mitsprache“ und auf die Frage, wer Problemdefinitionen im Unternehmen vornimmt) – sowie mit dem „eindeutige(n) Bekenntnis zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (z.B. 57ff). Das sind Formeln, die er im Verlauf des Buches mit Inhalt füllt.

Der Autor stülpt einen politikwissenschaftlichen Begriff und facettenreiches politisches Konzept zur Steuerung von Gesellschaften/ Staaten über ein Subsystem eben dieser. Dies ist eine Kategorienvermischung, insofern Ungleiches als gleich behandelt wird. Insofern bewegte sich eine Debatte im Grundsätzlichen.

Aber in der Rhetorik befindet er sich in guter Gesellschaft; denn demokratisch klingt immer wünschenswert, menschenfreundlich und erlebt – auch in verwandten Konzepten wie Holocracy, Integrale Unternehmensführung, Romantisches Führen, Agiles Führen – gerade einen Hype. All dies erscheint neu, obwohl sowohl Diskussion als auch Praktiken bezüglich partizipativer Strukturen und Optionen, Kooperations-, Kommunikationsformen und –kanäle bereits in den 1970ern en vogue waren und längst Eingang in Unternehmen gefunden haben. Insofern überzeugen weder die Klagen noch die Anklagen noch die Euphorie, mit der einige ausgewählte Erfolgsbeispiele (bis auf eines, psychologisch verlockend gewählt) angeführt werden.

Um seiner Botschaft und der – aus seiner Sicht – enormen Dringlichkeit Ausdruck zu verleihen, führt er (für den kritischen Geist: druchaus diskussionswürdige) Zahlenwerke und Berechnungen an, die zeigen sollen, wieviel Euro nicht demokratisch geführten Unternehmen entgangen sind und entgehen werden; viel Rhetorik rund um die Leistungen demokratischer Mitspracheoptionen, samt der eher wackeligen These, demokratisch verfasste Unternehmen trügen als „Demokratielabore „ (wie vertragen sich Unternehmensverantwortlichkeit mit Laborieren?) maßgeblich zur Einübung demokratischer Verhaltensweisen bei. Ferner baut Andreas Zeuch Popanze auf, indem er vermeintlich typisch-reale Gegenargumente oder Einwände gegen demokratische Strukturen zum Anlass zu deren Widerlegung bringt.

Ab dem zweiten Teil werden sich alle Leser freuen, die Fallbeispiele mögen und durch sie lernen. In einem dem Story-telling vertrauten Plauderton illustrieren die Beispiele nicht nur den Umstand, dass sich Unternehmen Schwerpunkte suchen, sondern zuweilen auch, welche Schwierigkeiten zu überwinden bzw. zu bearbeiten waren. Und neben einem eigenen Hinweis des Autors sind es Interviewpartner (sozusagen „Testimonials“), die betonen, dass Mitsprache und Mitentscheidung, geschweige denn, Selbstorganisation, in Relation zu Fertigkeiten und Qualifikationen/ Qualitäten der Betroffenen stehen müssen, also begleitet sein müssen von Bemühungen, das demokratisch Geforderte leisten zu können. Bezeichnend, dass jene Bemühungen, die in des Autors Verständnis nicht oder nicht genug demokratisch sind oder als Rückkbau beschrieben werden, nicht etwa Zweifel an der Idee (die noch kein Konzept ist) anregen, sondern zum Urteil des Autors führen: Die Bemühungen genügten nicht, methodisch und/oder vom Engagement her.

Den Beispielen, in denen via Interview die Initiatoren zu Wort kommen und von denen der Leser viel lernen kann, beispielsweise die Verschiedenheit von Motiven, Schwerpunkten und Vorgehensweisen, folgen Kurzausführungen zu einigen angesprochenen Konzepten, die bei den Wandlungen der Unternehmen mehr oder weniger explizit genutzt wurden.

Das Buch liest sich leicht und flüssig und regt in jedem Fall an: Sich an Beispielen zu orientieren und/ oder sie zum Anlass zum Nachdenken zu nehmen sowie die eigene Vorstellung von demokratischer Unternehmens- und Mitarbeiterführung zu perforieren, Argumentation zu differenzieren und gegen oder für die angebotene Affirmation zu schärfen.

Bemerkenswerter Weise spielt Digitalisierung 4.0 ebenso wenig eine Rolle wie deren Raub an Mitsprache- und Entscheidungsoptionen. Es ist nämlich die Frage, inwiefern diese Entwicklung die Rede von demokratisch verfassten und geführten Unternehmen obsolet macht.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Regina Mahlmann